Flucht Erfahrung und Integration

Vortrag und Austausch

Durch die Hölle in ein neues Leben

Noori Mato, Jeside aus dem Irak erzählt von seiner Flucht und seiner Integration

Sigmaringen – Wer ihn erlebt, mag es nicht glauben: Ein fröhlicher, zugewandter junger Mann beschreibt seine Flucht aus der irakischen Heimat. Auf Einladung des Kreisverbandes Bündnis 90/Die Grünen erzählte er im Alten Schlachthof in Sigmaringen von seiner unbeschwerten Kindheit und, dem Massaker durch den IS, dass dieser 2014 an der Glaubensgemeinschaft der Jesiden verübte, und die gefährliche Flucht nach Deutschland.

Hanna Stauß, Mitglied im Kreisvorstand der Grünen und Organisatorin des Abends, befand sich zwar coronabedingt in Quarantäne, war aber online zugeschaltet und eröffnete den Abend sehr einfühlend. Sie beschrieb Noori Mato als Glücksfall für die Integrationsarbeit im Landkreis Sigmaringen, beherrscht er doch 4 Sprachen fließend, Arabisch, Kurdisch, Englisch und Deutsch. Er hilft als Übersetzer, unterstützt Geflüchtete bei Behördengängen und ist ein wichtiges Bindeglied zwischen den verschiedenen Kulturen. Frau Stauß bedankte sich bei dem Moderator des Abends, Klaus Ernst Harter, und bei Bastian Rädle, dem Integrationsbeauftragten des Landkreises, der ebenfalls über seine Arbeit berichtete.

Zu Beginn seiner Ausführungen gab Noori Mato Einblick in seine Motivation. “Ich will meine Geschichte nicht vergessen, sie muss immer wieder erzählt werden, um in der Gesellschaft hier Verständnis für die Ankommenden zu schaffen. Dazu gehören auch Informationen über die brutalen Gewalttaten des Islamischen Staates und über die daraus folgende Vertreibung der Jesiden aus dem Irak.“ Er besucht Schulklassen und Hochschulen, schildert altersgerecht seine Geschichte. Diese Tätigkeit wurde von den Verantwortlichen im Landratsamt als vorbildlich ans Sozialministerium in Stattgart gemeldet.

Mato tauchte mit dem Publikum ein in die Welt der Jesiden, beschrieb die Besonderheiten und Bräuche dieser religiösen Gruppe, die von der UNO als eigenständige ethnische Gruppe anerkannt wird. Weltweit leben ca. eine Millionen Jesiden, durch immer wiederkehrende Genozide zur Flucht gezwungen. Vor dem Massaker lebten im Irak ca. 400 bis 450.000 Tausend, in Deutschland ca. 180.000. Baden-Württemberg nahm 1000 Jesidinnen auf, um sie vor der Versklavung und dem Tod zu retten. Auch bei der Integration dieser besonders traumatisierten Gruppe engagiert sich Mato.

Seit August 2014 mit dem Erstarken des Islamischen Staats (IS) sind Jesiden Opfer eines andauernden Genozids. Mato zeigte mit dem Film „The Black Massacre“, wie brutal dieser gerade 2014 verlief. Es wurde sehr, sehr still im Schlachthof , als erschreckende und verstörende Bilder verdeutlichten, wie der IS die Jesiden in das Sinjan-Gebirge trieb und 30.000 Personen geradezu abschlachtete.

„Was würden Sie mitnehmen, wenn Sie wie wir um Mitternacht in wenigen Minuten fliehen müssten?“ Mit diesem Satz forderte Mato die Zuhörer*innen auf, aufzuschreiben, was ihnen einfällt. Während die Zuhörenden Hygieneartikel, Ausweispapiere und kleine Erinnerungen aufschrieben, meinet er: „Ich hatte noch nicht einmal Schuhe an den Füßen. In so einer Situation der eigenen Lebensgefahr setzt das logische Denken aus.“ Durch das Eingreifen kurdischer Peschmerga-Kämpfer gelang es der Familie, als letzte über einen Sicherheitskorridor zu fliehen. Das nachfolgende Auto wurde beschossen und schaffte es nicht. Die Familie trennte sich in der Türkei. Nach einer sehr beschwerlichen Flucht, auf der er z.B. an der Grenze zu Ungarn neuer Gewalt ausgesetzt war, erreichte er Mitte 2015 den Landkreis Sigmaringen.

Ob die Jesiden und auch er und seine Familie daran denken, wieder in den Irak zurückzukehren, wurde Noori Mato gefragt. Dies verneinte er, da sich so ein Massaker jederzeit wieder wiederholen kann.

Für den Jesiden steht fest, dass eine Rückkehr in den Irak ausgeschlossen ist. „Eine solches Massaker kann sich jederzeit wiederholen“, ist er überzeugt. Er war der Erste der Familie, der sich von Syrien aus auf den Fluchtweg begeben hat und über Bulgarien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland gelangte, wo er im April 2015 ankam. Im Juni 2015 erreichte er den Landkreis Sigmaringen.

Aufgewühlt durch die Schilderungen der Vertreibung und der Flucht kamen im Publikum viele Fragen auf. „Nach all den Erfahrungen, liege es doch nahe, dass die Jesiden, wie z.B. die Juden auch, zu ihrer eigenen Sicherheit einen eigenen Staat anstreben. Mato kann sich das nicht vorstellen und begründete seine Haltung damit, dass die kulturellen Verschiedenheiten viel zu unterschiedlich seien. Jesiden hätten gelernt, dass sie sich der jeweiligen Kultur, in der sie leben, anpassen. „Wenn meine Familie sich trifft, sprechen wir ganz unterschiedliche Sprachen, und es muss ständig zwischen uns übersetzt werden,“ erzählt er mit einem Schmunzeln. Seine Familie lebt auf verschiedenen Kontinenten.

Nach seiner Ankunft in Deutschland begann die schwierige Integration, bei der er sehr bviel Eigeninitiative und Durchhaltevermögen aufbringen musste. Als ihm endlich nach fast 18 Monaten ein Sprachkurs bewilligt wurde, lehnte er das Angebot mit dem Satz ab:“ Danke, Aber ich kann jetzt schon deutsch.“ Er beschreibt die Jesiden als offene Menschen, dies wünsche er sich auch von uns Deutschen.

Bastian Rädle, der Integrationsbeauftragte des Landkreises berichtete anschließend über seine Arbeit und die Kooperation mit Noori Mato. Auf verschiedenen Ebenen ist Mato ein wichtiger Brückenbauer, wirkt bei verschiedenen Projekten mit, z.B. kooperiert er als interkultureller Vermittler mit dem DRK und hat bei der Realisierung des Filmes „Die Käufer der Träume“ mitgeholfen, in dem er in seinem Netzwerk Migrant*innen motivieren konnte, ihre Geschichte für den Film zur Verfügung zu stellen. Auch begleite er Student*innen z.B. bei Abschlussarbeiten zum Thema „Flucht“.

„Hoffnung brauchen wir gerade am dringendsten“, resümierte Klaus Harter am Ende der Veranstaltung und wünschte sich, dass das Wir-und-die-anderen-Denken überwunden werden kann, um mit der Friedensarbeit im Kleinen anzufangen, auf dass sich der Friede verbreite.