21.12.2017: (ERL)
Sehr geehrte Frau Bürkle, meine Damen und Herren,
Ein Haushalt mit einer guten finanziellen Basis liegt uns vor.
Mein Dank gilt meinen Vorrednern, die die gesamtgesellschaftliche Situation beleuchtet haben und mir an dieser Stelle schon vieles abgenommen haben, was ich nun auch nicht wiederholen will.
Vorne weg unsere Meinung zur Senkung der Kreisumlage. Wir stimmen für die Beibehaltung der 33 % wie ihn die Verwaltung bei der Einbringung vorgeschlagen hat. Wir brauchen Gestaltungsspielraum um in den nächsten Jahren die bekannten großen Projekte finanzieren zu können. Um nur zwei zu nennen: die Bertha-Benz-Schule und das Anna-Haus.
Ein guter finanzieller Rahmen ermöglicht es nicht nur, sondern verpflichtet uns auch ökologische Ziele, Klimaschutz, Nachhaltigkeit und intergenerative Gerechtigkeit, d.h. übersetzt Enkeltauglichkeit, stark voranzubringen.
Diese Punkte möchte ich näher betrachten.
Die Studie des Entomologischen Vereins in Krefeld über den massiven Rückgang der Fluginsekten hat im Oktober viele von uns nachdenklich gemacht. Demnach ging die sogenannte Biomasse an Insekten innerhalb von 27 Jahren um 76 % zurück. Eine Erscheinung, die von uns ernst zu nehmen ist. Als deren Ursachen werden die zunehmende Vernichtung von Lebensräumen, der Pestizideinsatz in der Landwirtschaft und auch der Klimawandel angeführt. Eine pauschale Schuldzuweisung an die Landwirtschaft ist nicht zielführend, da sie seit Jahrzehnten in dem Dilemma des Wachsens oder Weichens steckt. Veränderungen in der Landwirtschaftspolitik sind hier dringend angesagt. Aber was können unser Landkreis, unsere Kommunen und aber auch Privatleute dagegen tun?
Jeder einzelne Bürger und die Kommunen könnten ihre Grünflächen mit insektenfreundlichen Pflanzen und Stauden bunter und meiner Ansicht nach auch schöner gestalten. Lebendige Natur ist laut Erfahrungsberichten oft kostengünstiger als arbeitsintensives Rasenmähen. Mit der „Biodiversitäts-Landeshauptstadt Bad Saulgau“ haben wir ein vorbildliches Beispiel. 43 Störche in und um die Stadt im letzten Jahr sind ein Indikator für den Erfolg der vergangenen ökologischen Maßnahmen. Mit 500 Geburten in unserem Saulgauer Krankenhaus scheint sich anscheinend die Nahrungskette sogar bis zu uns Menschen positiv auszuwirken.
Derzeit wird von der Verwaltung ein Konzept erarbeitet wie unsere Kreisliegenschaften ökologisch bewirtschaftet werden können. Das ist ein schöner Anfang, aber wir wünschen uns, dass das Bad Saulgauer Konzept im ganzen Kreis Beachtung und Wertschätzung erfährt. Als natürliche Verbündete wilder Blumen, Kräuter und Bienen beantragen wir deshalb bei einer kommenden Kreistagsitzung in Bad Saulgau die anschauliche Vorstellung des Bad Saulgauer Konzepts. Gefreut hat uns, dass unsere Anregung vom letzten Jahr für mehr natürliche Gestaltung mit dem Blühstreifen am Landratsamt aufgenommen wurde. Sicherlich braucht es Zeit bis der Erfolg sichtbar wird. Inspiration und Lust auf insektenfreundliche Bepflanzung gibt z.B. auch der artenreiche Kräutergarten im ehemaligen Kloster Inzigkofen.
Aufgrund des massiven Artenrückganges fordern wir, dass bei möglicher Verpachtung kreiseigener Flächen vorrangig kontrolliert ökologisch wirtschaftende Betriebe infrage kommen.
Einen indirekten Beitrag könnten Küchen und Kantinen z.B. auch in den Kreisschulen und Krankenhäusern leisten, indem dort möglichst regionale und auf ökologische Weise produzierte Erzeugnisse verarbeitet werden . Unser Vorschlag : mit 20 % Anteil beginnen und in den nächsten Jahren zunehmend steigern. Auch Erzeugnisse aus „fairem Handel“ und nachhaltig produziert, sollten den Vorzug haben . Dieser Anspruch sollte auch im Landratsamt Beachtung finden.
Die Produktionsweise in der Landwirtschaft steht zurzeit vermehrt zur Diskussion. Die Anzahl der Landwirte nimmt auch in unserem Kreis rapide ab. Es gibt auch nur noch wenige Landwirte mit Weidehaltung. Weidehaltung fördert aber nach Expertenberichten die Artenvielfalt. Dieser Wirtschaftsweise sollte die bestmögliche Unterstützung durch das Landratsamt – Abteilung Landwirtschaft – zuteilwerden.
Biodiversität ist zunehmend ein Standortfaktor mit dem auch auf Tourismusmessen für unseren Kreis geworben werden kann. Folgerichtig begrüßen wir, dass eine Arbeitsgruppe aus Leibertingen und Umgebung beim Land Baden-Württemberg den Antrag zur Ausweisung einer “ Bio-Musterregion obere Donau“ gestellt hat. In jedem unserer vier Regierungspräsidien soll eine Bio-Musterregion eingerichtet werden. Es sind mehrere Anträge in unserem Regierungsbezirk gestellt worden, nicht selten mit intensiver Beteiligung der Landkreise. Wir regen an, das Modell, wenn es ausgewählt wird, im Kreistag vorzustellen.
„Der Naturpark obere Donau“ ist unbestritten mit der schönste Abschnitt des ganzen Flusslaufes. Er liegt aufgrund seiner ökologischen Vielfalt im „ Natura 2000 Gebiet“. Wir lehnen deshalb den Kalbabbau am Mittelberg in unserem „Naturpark obere Donau“ ab. Der immense LKW-Verkehr würde diese einmalige Naturlandschaft und damit auch den sanften Tourismus sehr stark beeinträchtigen.
Klimaschutz und dabei CO-2 Einsparung sind ein gewichtiger Punkt, wenn es uns um Nachhaltigkeit geht. Der Energy Award und 10 Jahre Energieagentur haben schon einige positive Ergebnisse gebracht. Aber es gibt noch viel zu tun. So läßt sich z.B. laut unserer Energieagentur der Anteil an Solarenergie noch kräftig steigern, da es noch viele ungenutzte Dächer gibt. Die Möglichkeit der Eigennutzung des Solarstromes macht durchaus Sinn. Bei den Neubauten der Berta-Benz-Schule und des Annahauses bitten wir den Einsatz der Solarenergie in Betracht zu ziehen und zu prüfen. Wir würden es sehr begrüßen, wenn es gelingen könnte, zukünftige Bauprojekte nicht von vorne herein auf die „grüne Wiese“ zu stellen, sondern kreative Lösungen mit begrünten Fassaden ohne oder mit wenig Flächenverbrauch zu verwirklichen.
Besagtes Anna-Haus werden wir ja bekanntlich einer Neunutzung durch die Verwaltung zuführen. Dadurch wird dieses denkmalgeschützte Gebäude nicht nur vor dem weiteren Verfall bewahrt, sondern auch als repräsentatives Bauwerk unseres Landkreises in seiner ursprünglichen architektonischen Ästhetik wieder hergestellt. So, wie wir mit unseren errichteten und geplanten Neubauten zukünftig wohl leider nicht verfahren werden, da diese erst gar nicht darauf ausgelegt sind, mehr als eine oder vielleicht zwei Generationen zu überdauern.
Umso wichtiger ist es, in Zeiten eines überall sichtbaren Strukturwandels Maßnahmen zu ergreifen, mit denen der Erhalt von bestehenden Kulturdenkmälern unterstützt wird. Engagierte Bürger wie der Architekt Roland Stegmaier setzen dem fast übermächtigen, teilweise auch finanziell geförderten Hang zum Abriss etwas entgegen. Hier in Sigmaringen das Beispiel, die Sanierung des mittelalterlichen Kantorenhauses , das von einem unscheinbaren grauen Gemäuer zurück in ein Schmuckstück mit Fachwerk verwandelt wurde.
Zwar sind Zuschüsse durch das Land Baden-Württemberg im Rahmen des Entwicklungsprogramms Ländlicher Raum (ELR) auch für solche Privatinitiativen heutzutage möglich. Aber der Landkreis Sigmaringen übernahm hier auch schon einmal selbst Verantwortung. Er setzte damit ein Signal und trug zur Rettung alter Häuser vor der irreversiblen Zerstörung bei. Er förderte solche Vorhaben auch in kleinen Größenordnungen in den Jahren von 1981 bis 1992 durch ein Denkmalpflegeprogramm mit einer Gesamtregelsumme von 250’000 D-Mark pro Jahr.
In einer Beschlussvorlage des Umwelt-, Kultur- und Schulausschusses aus dem Jahr 1985 heißt es dazu: „Im Landkreis Sigmaringen gibt es zahlreiche hervorragende alte Bauwerke. Sie sind von unseren Vorfahren in einer Schönheit und Individualität geschaffen worden, wie dies mit den heutigen Methoden nicht mehr möglich wäre.“
Wir nehmen den Nachklang des Kulturschwerpunkts 2016 „Regionales Bauen“, den Dr. Weber nicht ohne Grund gewählt hat, zum Anlass, hiermit eine Neuauflage eines derartigen Programmes zu beantragen und dafür 250’000 Euro in den zu beschließenden Haushalt einzustellen. Nicht nur unsere Nachkommen werden uns dieses Engagement danken, auch unsere Handwerker und auswärtigen Besucher.
Wir wollen natürlich nicht nur Denkmäler schützen, sondern vor allem auch das Klima. Ein wichtiger Beitrag dazu ist der verstärkte Ausbau des ÖPNV und die Ermunterung zu einer Mobilitätskultur, die es uns erleichtert, auf umweltfreundlichere Fortbewegungsmittel zu setzen.
Sehr verehrte Frau Bürkle, wir sind ihnen dankbar, dass sie dieses Anliegen tatkräftig angegangen sind. Wir sind mit der Neuanstellung einer durch ihr Studium kompetenten Verkehrsplanerin auf einem guten Wege. Die Fortschreibung des Nahverkehrsplanes in den nächsten Jahren ermöglicht es uns, den ÖPNV sinnvoll auszubauen und dabei die Bürger und Bürgerinnen durch Werbemaßnahmen zu ermuntern auf diesem überaus sinnvollen Weg mitzugehen.
Im vergangenen Jahr gab es seitens der Verwaltung den Versuch den Mitarbeitern ein Jobticket anzubieten. Wir begrüßen dies ausdrücklich und können uns auch vorstellen, das Umsteigen auf den ÖPNV mittels eines Jobticket attraktiv zu machen, indem wir einen ausreichenden finanziellen Anreiz bieten. Der Landkreis hat unserer Ansicht nach Vorbildfunktion für die Privatwirtschaft. An der Regio-Bus Linie liegende Firmen könnten z.B. dadurch überzeugender für ein Jobticket gewonnen werden. Parkplätze werden in Zukunft beim Landratsamt sehr knapp sein. Alle mit dem ÖPNV fahrende Mitarbeiter entlasten damit eine zunehmend angespannte Parkplatzsituation. Da die E-Mobilität zunehmen wird, bitten wir zu prüfen, ob im neuen Parkhaus am Krankenhaus einige E-Ladeparkplätze eingeplant werden können.
Bürgerbusse und Bürgerautos ergänzen in manchen Kreisgemeinden den ÖPVN. Im Modellprojekt MoDaVo in Herdwangen-Schönach sind hierfür noch Fördergelder übrig. Es könnten deshalb auch noch andere Gemeinden davon Gebrauch machen.
Gute Initiativen sind auch die Mitfahr-Apps wie z.B. Flic um zu Carsharing zu kommen. Diese gilt es auszubauen und zu bewerben. Vorarlberg macht es uns vor!
Das Fahrrad kann ein wichtiges Verkehrsmittel sein, wenn die Bedingungen stimmen. Viele E-Bikes erleichtern auch in hügeligem Gelände ein müheloses Fahren. Als Anreiz fürs Radfahren und zur Verbesserung der Sicherheit fordern wir deshalb Fahrradstreifen auf unseren Kreisstraßen dort einzurichten, wo es möglich und notwendig ist. Wir bitten die neue Verkehrsplanerin ein Konzept zu erarbeiten, wie das Fahrrad als Verkehrsmittel noch stärker beworben werden kann. Denn Fahrradfahren nützt bekanntlich der Gesundheit, der Umwelt und dem Geldbeutel . Es gibt in unserem Kreis schon Betriebe, die die Anschaffung von E-Bikes für ihre Mitarbeiter finanziell unterstützen.
Frau Bürkle, wir begrüßen ausdrücklich ihre Initiativen, die Elektrifizierung der Zollern-Alb-Bahn sowie der anderen Bahnstrecken voranzubringen. 377 000 € sind hierfür im Haushalt eingestellt. Dank der Anstrengungen unserer beiden Landtagsabgeordneten und ihnen Frau Bürkle, sowie ihrer Mitarbeiter, kann die Planung bis Sigmaringen in Angriff genommen werden.
Thema Jugend
Ein Jugendprojekt im Kreis ist “Landaufschwung“. Es unterstützt Jugendengagement und Beteiligung in Gemeinden, die keine offene Jugendarbeit betreiben. Leider wird es von den Kommunen wenig nachgefragt. Das ist sehr schade. Das Engagement der Jugendlichen für ihre Gemeinde und ihre Belange trägt zur Identifizierung mit ihrem Wohnort bei. Genau dies brauchen wir. Wer gute Erfahrungen in der Kindheit und Jugend machen durfte, sucht nach einem Studium eher einen Arbeitsplatz in der Heimat. Aktive Jugendliche sind auch die zukünftigen Gemeinde- und Kreisräte von morgen.
Mit dem Neubau der Berta-Benz-Schule schafft der Kreis gute Bedingungen für die berufliche Bildung im Kreis Sigmaringen. Eine gute personelle Ausstattung ist wichtig, sodass eine optimale individuelle Förderung auch schwächerer Schüler gewährleistet wird. Jeder junge Mensch sollte einen Beruf erlernen können und auch für lebenslanges Lernen befähigt werden. Es freut uns, dass das MINT-Exzellenzgymnasium nach Bad Saulgau kommt. Es stärkt unseren ländlichen Raum.
Grundlagen der Bildung und Erziehung werden schon in den Kitas gelegt. Gute Beispiele für eine Weiterentwicklung sind die Kinder- und Familienzentren in Gammertingen und Pfullendorf. In manchen Landkreisen werden diese Einrichtungen von der Kreisverwaltung unterstützt. Wir regen deshalb an, dass diese beiden Zentren ihre Modelle im Kreistag vorstellen dürfen.
Zum Schluss komme ich noch zu den vielen Senioren in unserem Kreis. Sie sind eine zunehmend größer werdende Gruppe. Der Anteil der über 65 Jährigen wird im Jahre 2020 bei 20,5% im Jahre 2030 bei 24,6% und 2040 bei 27,2% liegen, die in unserem Landkreis wohnen werden. In den Kommunen werden mit Hilfe von ehrenamtlichem Engagement Caring Communities, d.h. sorgende Gemeinden aufgebaut. In Projekten werden Netzwerke zur Pflege und Unterstützung älterer Menschen gebildet. Der Pflegestützpunkt bietet wichtige Beratung im pflegerischen Bereich. Es ist lobenswert, dass er um eine halbe Stelle ausgebaut wird. Aber, da viele Wohnungen nicht altersgerecht sind, bedarf es auch einer Bauberatung zur Unterstützung von Umbaumaßnahmen. Doch dafür gibt es nur vereinzelte Ansätze. In diesem Bereich kommen große Herausforderungen auf unsere Gesellschaft und damit auf unseren Kreis zu.
Wir beantragen daher, dass im Kreistag vorgestellt wird, wie die Altenhilfeplanung aussieht und welche Vernetzungsstrukturen bereits vorhanden sind, welche Aufgaben der bereits bestehende Seniorenrat hat und wie der Weiterentwicklungsbedarf gesehen wird.
Zum Schluss danken wir Allen, die am Haushaltsplan mitgearbeitet haben.
Mit einem Zitat von Philipp Melanchthon, einem wichtigen Zeitgenossen Martin Luthers, möchte ich schließen: „Die Zeichen der Zeit verstehen, heißt die Zukunft zu gestalten.“
Ich wünsche Ihnen allen noch eine geruhsame Adventszeit, ein besinnliches Weihnachtsfest und alles Gute für das kommende neue Jahr
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
Erika Rimmele-Laux Bündnis/Die Grünen Kreistag Sigmaringen Haushaltsrede 2017